Von Linsenfraß und Fischerglas

Unter Druck und Anstrengung glaubt man, den Fokus über eine fein filternde Linse erpresst zu lenken, mit ihr verschwommen betrachtete Mysterien aufzuschärfen. Dabei bestimme wohl die größte Linsenfassung oder die tiefblickendste Brennweite, so der Glaube des angestrengten Auges, den fokussierten Nutzen.

Linsenfraß und Fischerglas Linse

Doch ehe man sich im ferngesehenen Detail verguckt, das den Verstand nun oft abweit vom eigentlichen Wege ködert, führt nicht die Linse, sondern ein Fischglas, über den Kopf geworfen, den Fokus schlicht zusammen. Wo ich zuerst als gefangen um meine Sicht bangte, weil unter dem Glashelm Gesichter und Straßen bloß zu Strichen verzerren, verengte sich bald auch mein Denken und band mir eine kleine Welt zusammen; mein Geistgeblitze entlud sich nicht mehr neben einer Linse oder flog unbemerkt zu losen Details hinfort, sondern brütete miteinander im gläsernen Prismahort. Die Glaswände halten meine Gedankenkraft und -wärme nun so zusammen, dass mein ganzes Leben sich nah um mich zentriert.

Linsenfraß und Fischerglas Helm

Ich nur noch langsam meinen Weg zu beschreiten suchte, da auf dem Kugelspiegel sich Sternenbild gleich grünen Feldern rundherum abmalte. All die Erscheinungen fanden zu mir, bevor ich ihre Bilderfetzen aus der Luft zusammenzureißen bräuchte. Zündete das schnelle Wandern mir keine Lust mehr, wenn meine gläserne Welt mich doch mit dichter Gedankenbrut wärmte. Im Fokusglas mich demnach keine scharf brennende Linse mehr verführte, sondern all das schöne als sehenswertes Gesamtes mich durch den Glasfilm farbenfroh umringte.

 

Aber hält man sich trotz Gedankenkuppel und Blasensicht nicht nur an das Kurzgedachte, so könnte man schließlich meinen. In der Sicht langt nicht die Weite, sondern die Zeit nach des Verstandes Tugenden und wer sich fokussiert auf sein Gesamtbild wohl besinnt, verliert sich nie in ferngesehenem Detail, doch durchschaut sein Leben weitgedacht in einzigen Sekunden.

Linsenfraß und Fischerglas Uhr
Alexandra Svenja Meyer ist Der Schnabel hinter Projekt & Poesieblog Schwarzer Flamingo und tritt bei Literarités und Poetry Slams auf, um poetische Performance zu nutzen und Menschen mit abstrakter, rästelhafter Poesie vertraut zu machen. Aufgrund ihrer dekonstruktivistischen und hermeneutischen Intentionen, welche sie hinter den rekursiv eingedeuteten Motiven auswachsender Pflanzen und formbehandeltem oder brechendem Glas einfasst, welche jene Motive sich im Ausfächern der Verständnisebenen eines Textes dynamisch verflechten, ist Alexandra auch als ‚Glasvasenpoetin‘ bekannt. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin und der Passion für moderne Poesie ist Alexandra als Cannabis-Patientin und Aktivistin für eine Entstigmatisierung von medizinischem Cannabis und dessen Patient:innen aktiv als Cannabis-Expertin auf Twitter. Für ihr Engagement und die kritische Aufbereitung von Cannabis-Studien wurde sie als Rednerin bei Cannabis-Veranstaltungen eingeladen und ist darüber hinaus politisch aktiv. Ihrem poetischen Schaffen widmet sie, nach eigenen Aussagen, das oben erwähnte Pflanzenmotiv unter der Inspirationsfahne von Cannabis in der Kunst. Aufgrund ihrer Erkrankung sei die Pflanze eine starke Stütze, durch die sie konzentriert in die begrifflichen Spiegelwelten aus gläserner Schreiberei eintauchen könne und von dort aus den Halm bis zur Knospe ihrer Inspiration erklimmt.
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2 Gedanken zu „Von Linsenfraß und Fischerglas
  1. Beim entschleunigten Lesen eröffnet sich das Bild: Wer bei sich selbst bleibt und innehält, dem erschließen sich ungeahnte Sichtweisen und Möglichkeiten. Danke

    1. Hallo Rina,

      es freut mich sehr, dass du den Text von innen nach außen wenden und über deine Perspektive stülpen kannst! Nehme diese Erkenntnis gerne mit in deinen Alltag und kehre dann hin und wieder zurück zu diesem Text.

      Mögen die Schwarzen Schwingen dich begleiten!

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